Guido Arnd Neumann

 

„Notizen und Gedanken zur

Komposition“

 

A Postulate

 

Einige Worte  vorweg, und 6 persönliche Postulate zu Komposition:

Mein Motto lautet „Musik immer neu erfinden“. Damit ist nicht gemeint, dass man die Grundlagen der Musik neu erfinden muss, oder dass man die herrschenden Gesetzten von Klang und Zusammenklang, von Gestaltung und Fixierung, neu erdenken sollte. Vielmehr geht es um das individuelle Werk. Wenn man beispielsweise eine Komposition in Angriff nimmt, so sollte man sich nicht an bewährten Lösungen und scheinbar „richtigen“ Wegen orientieren. Was ist schon richtig oder falsch, wenn sich Hörgewohnheiten auch ändern können? Man sollte vielmehr immer wieder eine ganz eigene Lösung herbeiführen. Einen neuen Weg beschreiten. Eine eigene Idee entwickeln, und nicht auf beschrittenen Pfaden wandeln oder gar imitieren oder kopieren. Man braucht dazu etwas mehr Mut, um eigene Wege zu beschreiten. Denn jede Komposition sollte ein neu erfundenes Stück „Welt“ sein, das bisher noch nie dagewesen ist. Um das zu erreichen, muss man gelungene Lösungen in Bezug auf die ästhetische Funktion von Form, Harmonie, Rhythmik und Melodik speziell neu entwickeln, wobei zwar bestehende althergebrachte Regeln der Komposition auch außer Kraft gesetzt werden müssen, aber die Grundlagen der Musik bestehen bleiben. Fast so, als könne man für kurze Zeit die Schwerkraft aussetzen, und dann die Welt innerhalb der bestehenden Kräfte neu ordnen. Mein erstes Postulat zur Komposition lautete deshalb:

 

1.    Neue Wege beschreiten: gültige Kompositions-Regeln außer Kraft setzen.

 

Das beinhaltet auch, sich nicht an den Lösungen oder den Stilen und  „Sprachen“ bekannter Komponisten zu orientieren, sondern mutig selbst etwas bisher noch nie da Gewesenes zu erfinden. Eigenes und Charakteristisches hervorbringen. Denn welchen Sinn macht es, einen bewährten Kompositionsstil beispielsweise Bachs zu imitieren, Bachs Techniken auf eigene Melodien anzuwenden, wenn dabei ein billiges Bachimitat entsteht. Man denke beispielsweise an eine Fuge. Die besten Fugen im Bach-Stil hat Bach selbst geschrieben. Niemand wird sie übertreffen können, es sei denn er erfindet dabei etwas charakterlich Anderes oder Neues, aber dann müsste er Bachs Kompositionsregeln hinterfragen, aussetzen und durch etwas Neues ersetzen um ein Neue Fugentechnik entwickeln zu können. Von Mozart beispielsweise sind sehr eigentümliche Fugen bekannt. Er schaffte es ein eigenes Fugenschema tatsächlich in seinem ureigenen Kompositionsstil mit unterzubringen. Denn die reine Stil-Imitation hat keinen musikalischen Wert. Mein zweites Postulat für Komposition lautet deshalb:

 

2.    Eigenart und Charakter: eine eigene Lösung herbeiführen, seine eigenen Ideen entwickeln, welche mit dem „Ich“ des Komponisten im Einklang steht, eine Spiegelung seines inneren „Selbst“ und seiner Gefühlswelt ist.

 

Und diese Eigenart findet sich insbesondere in den Werken großer Komponisten wieder. Es existiert mittlerweile eine riesige Anzahl von Meisterwerken verschiedenster Komponisten aller Epochen. Und trotzdem kann man in der Regel den Urheber  identifizieren, ohne dass man das Werk und den Namen des Komponisten kennen muss. Hört man einen Mozart, so wird man ihn schnell erkennen können. Gleiches gilt für einen Beethoven, einen Bach, einen Salieri, einen Corette etc. Und ein Mozart klingt immer wie ein Mozart, ein Beethoven wie ein Beethoven u. s. w.

Ein Komponist wird man erst dann sein, wenn das Publikum ohne den Komponisten zu kennen zu sagen in der Lage ist: Mensch das ist doch ein...

 

Zuerst schreibt man alles auf, was einem dazu in den Sinn kommt. Und alles muss einem weiteren Grundsatz gerecht werden: das komponierte (zusammengestellte) Material muss allein vom Komponierenden Selbst kommen, und muss derart beschaffen sein, dass das Material dem Kompositionsvorhaben gerecht wird und in der Lage ist bei einem potentiellen Zuhörer ein anhaltendes positives Interesse und positive Gefühle zu erwecken. Dazu gehört durchaus auch das Ziel einer konsumierbaren Musik zu erschaffen. Mit anderen Worten:

 

3.    Intelligentes Erfinden: Geeignetes Material intelligent selbst entwickeln und zusammenstellen. Eigene Ideen hervorbringen. Keine Vorlagen benutzen.

 

Das einmal zusammengefügte Werk sollte darauf mehrmals überarbeitet werden. Man muss daran wie an einem Werkstück feilen, solange bis alles stimmt. Bei der Überarbeitung einer Komposition sollte man deshalb zuerst versuchen das Ganze auszudünnen. Fülle, Komplexität, Virtuosität und Überladensein tun keiner Musik gut. Der Mensch liebt die sangbare Melodie. Der Mensch liebt die merkbaren und wiedererkennbaren Melodien. Der Mensch liebt die eindringlichen Melodien. Der Mensch liebt Themen die ihm Halt geben. Der Mensch liebt Themen die er verstehen kann. Und am besten geht deshalb das Einfache. Ähnliches gilt für Klänge und Rhythmen. Die Stärke liegt deshalb beim Komponieren in Einfachheit und nicht in der Komplexität. Man reduziere deshalb so viel man kann, solange bis das Stück eine klare Struktur erhält. Vertikal wie Horizontal. Innen wie Außen. So ein vierter wichtiger Grundsatz ist deshalb:

 

4.    Reduktion zu einer klaren Struktur: nach dem Motto „Weniger ist Mehr“.

 

Nach der Reduktion sollte man ganz nach dem reduzierten Ganzen alles so weit Ergänzen und Auffüllen bis der Eindruck des vollständigen und ausgereiften Werkes entsteht. Dies geht ganz nach dem Leitsatz:

 

5.    Prinzipientreue Vervollständigung: die gefundene Struktur für das ganze Stück zum Prinzip erheben.

 

Und dabei sollte man, was die Länge des Werkes anbelangt, wieder nach dem Motto „Weniger ist mehr“ handeln. Ein zu langes Werk ist unverständlich oder langweilt; es sei denn, man bringt Neues. Dieses Neue muss aber ganz dem Duktus eines Hauptthemas gerecht werden. Diese Nebenthemen müssen zum Hauptthema stehen wie die Kinder zu ihrem Elter: kleine Erwachsene, eigenständig und doch abhängig, eigen und anders und doch nächst verwandt.

 

Als letztes und wichtigstes Postulat will ich noch nennen:

 

6.    Qualität: selbst höchste Ansprüche an das Ergebnis einer Komposition stellen.

 

Nur wenn man bereit ist, sein Werk selbst der härtesten Prüfung zu unterziehen, kommt man zum Erfolg. Kann man am Ende selbst sagen: ja, das Werk erfüllt seinen Zweck und es ist gut und man kann es sich nicht nur anhören, sondern man hört es sich gerne an und vielleicht auch gerne mehrmals, dann hat man ein wichtiges Ziel erreicht.

 

 

 

B Vorlagenmusik

 

Ich will hier einige meiner Gedanken über Komposition nach Vorlagen wiedergeben:

 

Auslöser dafür war eine mir aufkommende Frage: ist es gut eine Vorlage zur Komposition heranzuziehen? In wieweit entsteht dabei Musik, und wie wird das Werk einmal bewertet werden, eher als etwas „Schwaches“ oder gar als ein misslungenes Stück? Inwieweit sind „Vorlagenkompositionen“ erlaubt und was muss man bei ihrer Erstellung beachten?

 

Ich kannte schon zwei Werkgruppen, die unter Verwendung einer Vorlage entstehen, dazu zählen Verarbeitungen und Variationen von/über musikalischem „Allgemeingut“ und Zitate bekannter Melodien. Ersteres Z.B. als Choräle oder Variationen. Bei den Folia-Variationen von Salieri beispielsweise beeindruckt mich besonders sein Spiel mit den Klangfarben. Aber meine Aufmerksamkeit über dieses Thema wurde ursprünglich durch eine Gen-Farb-Transformation im gestalterischen Bereich angeregt, die mir unter die Augen kam. Es waren Farbmuster, abgeleitet vom DNA-Code. Bunte Bilder wie sie der Künstler Karsten Panzer aus Bergisch Gladbach nach Gensequenzen kodiert. Hier kam die Vorlage aus einem nicht-musikalischen Bereich und es wurde Transkription oder Transformation vorgenommen. Mein Frage war sogleich: Ist das sinnvoll? Ich will im Folgenden deshalb meine weitergehenden Gedanken über Kompositionen nach Vorlage hier skizzieren, speziell über Codes als Grundlage von Komposition und die Gen-Musik und den DNA-Klang.

 

 

1. Die Gen-Musik und der DNA-Klang und andere Codes.

 

Gen-Musik, DNA-Klang, das bedeutet den Code einer DNA, das ist die Gensequenz, in Musik umzuwandeln. Eine auf den ersten Blick phantastische Idee. Genauso gut kann man den verschlüsselten DNA-Code in Farben umwandeln oder in Laute, Sprache (Texte). Durch Letzteres könnte man DNA zum Sprechen bringen. Aber es wäre nur ein monotones Stammeln, was am Ende dabei herauskäme, ebenso wie DNA immer zu gleichartigen monotonen Farbmustern oder Melodietypen führen muss. Aber bevor ich schon sogleich Kritik an dieser Vorlage übe, mache ich an dieser Stelle zuerst einen historischen Rückblick. Dafür konzentrieren wir uns einmal auf die Idee, den DNA Code, der die Aminosäure-Sequenzen der Proteine festlegt, in der Musik zu verwenden. Die Idee erscheint auf den ersten Blick interessant. Aber wer hat sie gehabt? Wer hat es erfunden? Als Allererster war es wohl Douglas Hofstadter, der 1980 einen Vergleich zwischen m-RNA-Strängen und Magnettonbändern vorgenommen hat. Hofstadter verglich das Ablesen der m-RNA durch Ribosomen mit dem Ablesen der Tonbänder durch den Tonkopf des Kassettenrekorders. In Hofstadters Buch lässt sich darüber lesen: „{…} the „notes“ produced are amino-acids and the pieces of music they make up are proteins“. So verglich Hofstadter die Aminosäuren mit den Noten und die Proteine mit der erklingenden Musik.

 

(Literatur. Hofstadter, „Godel, Escher, Bach“, Vintage Books Edition, 1980, p.518).

 

Die Ersten, die den einzelnen DNA-Basen Töne, und damit bestimmte Tonhöhen zuordneten, waren die Japaner Hayashi und Munakata im Jahre 1984. Nach Ansicht der beiden Japaner war die Transformation der DNA in Musik von wissenschaftlichem Belang, sie gestattete es den Wissenschaftlern GEN-Sequenzen einfacher zu erfassen und bestimmte Besonderheiten zu erkennen.

 

(Literatur: Kenshi Hayashi und Nobuo Munakata, Basically Musical, Nature 310 of 12th July 1984: p. 96). Noch 1996 machen vergleichbares die Biologen Ross King und Collin Angus mit einem Membran-Receptor-Gen (S2) durch Gleichsetzung der Basen mit den Tönen C,A,G und E.)

 

Einige Sequenzen im DNA-Code wiederholen sich und der Japaner Susumo Ohno identifizierte so im DNA-Code Themen ähnlich wie in grösseren musikalischen Werken, außerdem übertrug er als Erster mit der Translation von Chopins Nocturno in Basen ein Musikstück in DNA-Code.

 

(Literatur: Susumo Ohno, A song in praise of peptide pallindromes. Leukemia 7 (suppl. 2, August 1993), p. 157-159).

 

Mittlerweile gibt es Musik von den Absorptionsspektren der DNA-Basen, und DNA-Musik die ästhetische und pädagogische Ziele verfolgt. 

 

Wenn DNA in Musik gewandelt wird, dann wird das, was DNA vorgibt, quasi von selbst zu Musik. Und das bedeutet: aus Genen und DNA Musik hervorzuholen ist weniger die Arbeit eines Komponisten oder Künstlers, als vielmehr Die eines Experimentators und Wissenschaftlers. Ähnlich wie wenn man antike Notenzeichen (Buchstaben) in unser modernes Notensystem überträgt, bleibt bei diesen Translationen immer eine kleine Ungewissheit übrig: welcher Buchstabe entspricht welcher Tonhöhe und Tonlänge? Oder anders: Welcher Buchstabe entspricht welchem modernen Ton? Dies gilt für die antiken Notenzeichen gleichermaßen wie für die Nukleotidsequenzen. Wobei aber nur hinter Erstem sich menschlich erdachte Musik verbirgt. Und deshalb muss der Wissenschaftler bei der DNA willkürlich zuordnen, und so sind verschiedene Permutationen zulässig. Die Codons (Nukleotidtriplets) entsprechen Dreiergruppen von Tönen der diatonischen Tonleiter. Z.B. abgebildet durch Triolen. Eine durch die Bezeichnung herbeigeführte assoziative Zuordnung ergäbe sich beispielsweise für Basen (Grossbuchstaben) und Töne (Kleinbuchstaben)durch die Translationen A=a, C=c, G=g und T=h. Wobei T für Thyrosin als „TH“ gelesen wird, und durch das h dann erst eine vergleichbare assoziative Entsprechung erhält. Dies passt auch ganz gut, da es mit den Basenpaarungen übereinstimmt. A-T mit 2 Wasserstoffbrückenbindungen bei a-h mit Zweitonabstand (Sekunde)und  G-C mit 3 Wasserstoffbrückenbindungen bei c-g Dreitonabstand (Terz). Aber andere Zuordnungen sind ebenfalls zulässig, z.B. willkürlich mit den Tönen c-e, f-g oder dis-gis, b-des etc. So ergibt sich eine große Anzahl von möglichen „DNA-Tonarten“. Die Abfolge der Codons auf dem DNA-Strang ist linear und „einstimmig“, da nur entspiralisiert und jeweils von einem DNA-Strang als Vorlage (Template) abgelesen wird (Transkription in m-RNA). Ebenso wird auch die Musik aus dem DNA-Code zu einstimmiger Abfolge von Dreiertongruppen. Diese Dreiergruppen werden durch die Codons der DNA vorgegeben und sind ebenso zwingend wie die Abfolge von allein 4 Tönen. 4 Töne, welche durch die 4 Nukleotide (Basen) Adenin, Cytosin, Guanin und Thyrosin bestimmt werden. Die Abfolge der Töne und die Notenwerte (gleichförmige Dreiergruppe)sind ebenfalls exakt vorgegeben. Nur der gleichmäßige Notenwert ist frei: entweder alles Sechzehntel, oder alles Achtel, oder alles Viertel etc. Das Tempo ist ebenso frei. Ein „Komponist“ hat hier trotzdem keine wirklichen Möglichkeit die zu bildende Musik zu gestalten oder zu beeinflussen, hauptsächlich nur dadurch, indem er die „Tonart“ oder besser gesagt das Tonmaterial für die Translation von Basentriplets in Notenschrift festlegt. Mehr nicht. Denn das Ganze ist eher ein wissenschaftliches Experiment als Kunst oder Musik. Ein Versuch, mit dem man einen genetischen Code hörbar macht. Ein Experiment um DNA- und Gensequenzen einmal nicht mit dem Auge, sondern einmal über das Ohr zu erfassen.

 

Hier eine translierte gen-Musik mit (Cytosin = Ton c), (Guanin = Ton g), (Adenin = Ton a) und (Thymidin = Ton h) und am Beispiel einer erfundenen DNA-Sequenz und Achteltriolen auf einem Viertelschlag

 

Erfundene Sequenz (DNA): AAT GGC | usw.

Translation in Triolen: ¼  aah ggc | usw.

 

Soviel zu Historie und Funktion von DNA-Klang und Gen-Musik. Man erkennt jetzt: der DAN-Code ist ein Code.  Und Codes sind auf einem vorbestimmten Weg zu durchlaufende Vorschriften. Ich persönlich halte das Komponieren nach Codes oder Komponieren eng nach einer Vorlage eher ab. Für mich ist das nicht wirklich mehr ein komponieren, sollte das Material auch einem Tonvorrat oder einer zu verwendenden Tonleiter gleichen, so sind die Freiheiten zu sehr durch eine Vorlage eingeschränkt. Nimmt man sich größere Freiheiten verschwindet die Vorlage. Ein vorgeschriebener Weg und das Zwanghafte einer Vorlage eines Code schließen einen schöpferischen Prozess für eine gelungene musikalische Komposition aus. Und mit anderen Vorlagen ist es nicht anders. Solange sie nicht frei verwendbar sind, ist ihre Anwendung in der Komposition sinnlos, d.h. immer dann, wenn sie stringent durchlaufen und abgearbeitet werden. Im Grunde ist ein solcher Vorgang dann nichts anderes als eine Codierung oder Umcodierung. Die Vorlage wird in etwas 1:1 oder nahezu 1:1 umgewandelt. So entstehen keine Kompositionen sondern Translationen, also Übersetzungen in eine andere „Sprache“. Und bei diesen „Sprachen“ würde es sich dann um Noten oder Farben etc. handeln. Aber echte Kunstwerke entstehen bei auf dieser Weise erzeugter Musik oder auf diese Art und Weise erzeugten Bildern nicht. In der Malerei entsteht sogar der Eindruck vom primitiv anmutenden „Malen nach Zahlen“. 

 

Exakte Translationen von DNA-Code in Musik machen für Forscher vielleicht etwas Sinn, um Gene nicht nur visuell über Schriftliches, sondern auch über eine akustische Kennung analysieren zu können. Vielleicht verrät das musikalische Muster etwas mehr als das visuelle Modell darüber, wie sich ein Gen als Ganzes gestaltet. Sieht es so aus, fühlt es sich so an wie es sich anhört? Zumindest wird man das „Muster“ besser verstehen lernen können. Im Grunde kann man auf die oben beschrieben Art alle Gene auf die Schnelle mit einem Computerprogramm in gleichförmig angelegte Musik übertragen. Es braucht dazu keinen Komponisten oder Künstler.

 

Wer, der nicht aus wissenschaftlicher Sicht Gene hörbar machen will, wendet etwas wie einen Code in der Kunst oder der Musik dann trotzdem noch an? Möglicherweise wenn er nicht ausreichen talentiert ist, sei es als Komponist oder Künstler um selbst nach einer eigenen musikalischen oder in der Malerei künstlerischen Lösung für ein Werk zu suchen? Nur derjenige wird auf den DNA-Code oder andere Vorlagen gerne zurückgreifen, dem es an Phantasie und eigener künstlerischer Schaffenskraft mangelt. Wem selber nichts einfällt, der muss sich die Töne zwangsweise woanders als aus seinem Kopf holen; und so holt er sie sich eben über einen Code wie die DNA. Beim gestaltenden Künstler könnte man sagen. Wenn er auch nicht malen kann, so lässt er halt malen. Oder anders gesagt. „Malen nach Zahlen“ mal anders. Man wandelt DNA-Codes in Farbe um und schon hat man gemalt obwohl man nicht malen kann. Oder man wandelt Gene in Töne um, und schon hat man komponiert obwohl man nicht komponieren kann. Sieht es am Ende auch noch bunt aus oder klingt es am Ende auch ganz nett, so kann der Meister seiner codierten Werke immer noch sagen, dass ist ja „sinnig“, da es DNA ist. Und auch diese „Künstler“ finden ihr Publikum; teils aus Unwissenheit und aus Neugierde kommen Betrachter und Zuhörer um diese Werke zu sehen oder zu hören. Vielleicht finden sie hier mehr Anhaltspunkte als in der Avantgarde, aber sie merken nicht das Defizit des Künstlerischen dem sie bereit sind ihr Ohr und Auge zu leihen.

 

   Musikalische DNA-Sinnlosigkeit: Letztlich ist der DNA Code nicht viel anders als der Buchstabencode unserer europäischen Schriften. Diese ist genau genommen eine Zusammenstellung von Konsonanten und einigen wenigen Vokalen. I. d. R. mehr als 20 Zeichen. Bei der Schrift sind nicht nur Wörter aus 3 Buchstaben, wie die Codons der DNA, sondern, mit weniger als 3, genau 3 oder mehr als 3 Zeichen vorhanden. Z.B. im Deutschen: „Da“, „das“, „Dasein“, um drei Beispiele zu nennen. Zeichenreihen ganz so wie die Wörter, die es in einer Sprache gibt. Würde man Texte aus solchen Buchstaben musikalischen oder farblichen Tönen zuordnen, könnte man geschriebene Bücher, wie z.B. die Bibel, komplett in „Musik“ oder „Malerei“ verwandeln. Ganz so wie in obigen Beispielen die GENE gewandelt wurde. Ich frage mich, wer wollte sich das dann anhören? Wer wollte sich das dann ansehen? Eine neue Technik für talentlose Maler und Komponisten, und abzuheften unter der Rubrik: sinnlos und gefährlich (s.u.).

 

Man sollte nie vergessen, dass Musik und Malerei, Komponieren und Malen, eigene Codierungen sind, über Notation oder Farben darstellbar. Jeweils ein Code, der seine eigenen Gesetze hat, und der z.B. bei Musik durch die Wechselwirkung Mensch (Rezeption, Verarbeitung, Gefühl, Innenwelt, Psychologie) und akustisches Phänomen (Akustik, Klang, Ton, Zusammenklang, Wirkung, Rezeption) entsteht, und deshalb nur darin seine Sinnhaftigkeit findet. Musik ist nur als Musik sinnvoll, nicht als transkribierte DNA oder Sprach-Text. Und deshalb ist es eine Dummheit beispielsweise den Code eines Textes 1:1 in eine Musik zu übertragen, da auf diese Weise nur Nonsense entstehen kann. Genauso bedeutungslos ist es Codes in Farben umzusetzen, denn es entstehen nur zwangsläufige Farbmuster, gleichsam wie Dekorationen, und keine großen Kunstwerke. Verzweifelte Versuche diesem musikalischen oder künstlerische Nonsense durch Hinzufügungen noch einen tieferen Sinn zu geben oder abzuringen, z .B. durch Verknüpfung mit esoterischen Elementen wie „Yin und Yang“, „I Ging“, „Sternzeichen“, „Planeten“ etc., müssen von Vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Mit ernsthafter Kunst hat das wirklich nichts zu tun. Wer darauf als Konsument hereinfällt, der hat einen Hang dazu, sich übers Ohr hauen zu lassen.

 

 

2. Vorlagen, Themen, Variationen, Pasticcios, Plagiate, Urheberrecht, Cross-Over

 

Und ein ganz wichtiger Punkt ist auch in dieser Stelle noch zu nennen: auch gibt es bei der Verschlüsselung von Codes durch Töne oder Farben nicht zu unterschätzende Gefahren. Vor allem in den Zeiten von Terrorismus, Kriegen und Wettrüsten können musikalische und künstlerische Kryptographien missbraucht werden. Z.B. als Vehikel um verschlüsselte Informationen verdeckt zu transportieren. Z.B. gibt es bekannte Gensequenzen von todbringenden oder krankheitserregenden Genen (z. B. für Biowaffen). Was ist wenn diese jemand in Kunst oder Musik verpackt und in der Welt verschickt. In unseren Zeiten der Bedrohungen durch Terroristen will so etwas niemand!

 

Blickt man auf das Gesagte über Gen-Musik und DNA-Klang zurück, könnte man auf die Idee kommen, ich wäre engstirnig und verschlossen. Möglicherweise vermutet der Eine oder Andere, ich würde auch einen Andy Warhol in der Kunst nicht dulden wollen. Hat dieser Warhal doch ebenfalls Vorlagen z.B. Bilder aus Zeitschriften für seine gedruckten „Gemälde“ herangezogen. Warum sollte man dann beispielsweise in der Kunst nicht auch DNA, Texte oder andere Codes als Vorlage für eigene Werke nehmen? Man könnte Warhol ja auch vorwerfen, er hätte Plagiate angefertigt. Quasi Nachdrucke der Werke Anderer. Jemand hat auch einmal bösartig über Warhal gesgat, er hielte ihn nur für einen „Drucker“. Aber niemand hat bisher seine Kunst wirklich derart in Frage gestellt, und Warhal ist noch heutzutage als Künstler berühmt und begehrt, seine Werke bleiben anerkannt. So könnte man als Komponist doch auch auf die Idee kommen, die Themen anderer zeitgenössischer Komponisten zu entwenden und wie Eigene zu verarbeiten um daraus eine Neue Musik und eigene Werke entstehen zu lassen. Letzteres ist aber nicht nur gesetzlich nicht erlaubt, sondern ist ästhetisch völlig verwerflich. Gibt es doch zwischen dem Maler Warhol und dem plagiierenden Komponisten einen großen Unterschied. In der Malerei ist das, was Andy Warhal erschuf, tatsächlich eine neue Kunstform und es ist tatsächlich auch erlaubt. In der Komposition hingegen führt die gleiche Vorgehensweise allein zu Plagiaten, und ist zudem noch gesetzlich untersagt. Wie kommt es zu einem solch großen Unterschied zwischen Kunst und Musik? Der Unterschied begründet sich im Wesen von Kunst und Musik:

 

   Malerei bildet etwas ab. Objekte, Farben und Licht sind Gegenstand der Malerei. Ein Bild ist selbst Objekt und kann deshalb selbst wieder zum Gegenstand eines Bildes werden. Der Grad der künstlerischen Umsetzung des Bildes vom Bild entscheidet deshalb erst darüber, ob ein solches Bild eine Fälschung, eine Kopie oder etwas mehr als nur das oder sogar ein eigenständiges Kunstwerk ist. Bei Warhol ist es die großformatige Umsetzung in Siebdrucke bei gleichsam vorgenommener Verfremdung (Popart), die den Status von Kunst erwirkt. Einen ähnlichen Status genießen in der Kunst Collagen, die zu eigenständigen Werken führen. Die Meisterwerke eines Kunstfälschers im Range Kujaus hingegen sind Fälschungen oder zu gute Kopien, die man kaum vom Original unterscheiden kann. Ihr künstlerischer Wert ist aber mehr als zweifelhaft. Schlechte Plagiate oder Stil-Imitationen berühmter Künstler durch weniger berühmte Künstler münden in der Malerei im „Pasticcio“ (Pastete). In der Malerei bezeichnet man deshalb mit Pasticcio abfällig nicht nur gefälschte Werke sondern auch die virtuosen Nachahmungen eines anderen Stils ohne fälschende Absicht, die aber keinen eigenen künstlerischen Wert aufweisen. Sie stellen eine wertlosere Kunst dar, aufgrund der Nachahmung des Stils, Anders wäre es bei der Abbildung des Gegenstandes „Bild“ in einem eigenen Stil. Die Vorlage ist aber immer ein Bild und nicht etwas Anderes, wählt man einen Code oder bestehenden Code verlässt man wieder die Wege der Kunst.

 

   Musik bildet hingegen nichts Gegenständliches ab. Nicht Objekte sondern Einfall und Erfindung, innere Erkenntnis, Gefühlswelt, Schau, Charakter und Persönlichkeit als Eigentum des Komponierenden sind Gegenstand der ganzen Komposition. Sie sind deshalb ein geistiges Eigentum. Eine Komposition mit Themen und Melodie und Rhythmik kann deshalb anders als bei einem Gemälde/Kunstwerk/Bild nicht mehr von einem anderen Komponisten 1:1 in eine neue Komposition umgesetzt werden. Einen komponierenden Warhal als anerkannten Komponisten wird und kann es deshalb niemals geben.

 

 Nur in wenigen Ausnahmefällen ist die Verwendung von musikalischen Vorlagen als Einfälle anderer Komponisten erlaubt: wie ich oben erörtert habe, taugen solche aus Vorlagen abgeleiteten Kompositionen in der Regel immer dann nichts, oder sind so nicht erlaubt, wenn die Vorlage nicht in etwas Neues eingebettet und umgesetzt wird und in der Art, das etwas vollkommen Neues mit einer eigenen künstlerischen Leistung entsteht. Einige Beispiele: La Follia (Barockwerk), gregorianische Choräle etc. wurden kunstvoll in große neue Musikwerke umgesetzt. Oder man denke an das Ave Maria von Gounod, der für seine Komposition als Begleitung ein Präludium Bachs auswählte. Oder im 19. Jahrhundert Variationen über ein Thema eines anderen Komponisten. Z.B. ein Thema Haydns von Johannes Brahms aufgegriffen und variiert, das sind erlaubte Vorgehensweisen, wenn eine eigene künstlerische Leistung, im genannten Falle die des Komponisten Brahms, sichtbar wird und das verwendete Thema und dessen Urheber genannt und kenntlich gemacht worden ist. Nach den heute gültigen gesetzlichen Bestimmungen sind unkenntliche musikalische Collagen aus den Themen anderer zeitgenössischer Komponisten nicht zulässig, auch das Variieren von Themen anderer lebender Komponisten ist ohne deren Zustimmung unzulässig oder ohne deren Nennung. Das „Musikzitat“ unterliegt starken gesetzlichen Einschränkungen.

 

Im Detail (aus Wikipedia):

 

„Die Regelung zur Nutzung eines Musikzitates sieht vor, dass die übernommenen Stellen eines fremden Werkes innerhalb einer neuen Komposition deutlich erkennbar sein müssen. Es muss entsprechend immer so lang sein, dass der Hörer die Fremdelemente eindeutig erkennen und zuordnen können muss. Zugleich müssen die Grenzen des Zitierrechts für das Kleinzitat eingehalten werden, die Passagen dürfen also auch nicht zu umfangreich sein, damit keine unzumutbare Beeinträchtigung der Interessen des Urhebers bestehen. Die Werke, in denen ein Musikzitat eingearbeitet wird, müssen wie bei anderen Formen des Zitats zudem einen eigenständigen Werkcharakter aufweisen. Zitierte Stellen müssen eindeutig referenziert werden.

Die Regelung zur Nutzung eines Musikzitates sieht vor, dass die übernommenen Stellen eines fremden Werkes innerhalb einer neuen Komposition deutlich erkennbar sein müssen. Es muss entsprechend immer so lang sein, dass der Hörer die Fremdelemente eindeutig erkennen und zuordnen können muss. Zugleich müssen die Grenzen des Zitierrechts für das Kleinzitat eingehalten werden, die Passagen dürfen also auch nicht zu umfangreich sein, damit keine unzumutbare Beeinträchtigung der Interessen des Urhebers bestehen.

Die Werke, in denen ein Musikzitat eingearbeitet wird, müssen wie bei anderen Formen des Zitats zudem einen eigenständigen Werkcharakter aufweisen. Zitierte Stellen müssen eindeutig referenziert werden.“

 

Und wenn der „zitierte oder variierte Komponist“ schon über 70 Jahre tot ist, so dass sein Urheberrecht erloschen ist, darf man sein Werk „verarbeiten“, aber auch dann muss der Name des Komponisten und der Ursprung der Zitate (Referenz) immer mit angegeben werden.

 

Allgemeingut wie die Folia, gregorianische Choräle, Volkslieder, antike Überlieferungen, gemeinhin wurden allgemein bekannte Werke die „Volkseigentum“ oder „Allgemeingut“ geworden sind, darunter viele Werke bei denen die Urheberschaft nicht oder nicht mehr bekannt ist, traditionell zu neuen Kompositionen verarbeitet. Man denke nur an die vielen Choralbearbeitungen und Choralimprovisationen. Unerlässlich bleibt auch dabei, dass das verarbeitete Werk genannt wird. D. h. obwohl man die verwendete Vorlage aufgrund ihrer Bekanntheit immer heraushören kann(wiedererkennen kann), auch heraushören muss und soll, wird sie durch den Komponisten im Titel immer genannt, z.B. „Folia-Variationen“ oder die „La Furstemberg“-Variationen von Corrette. Eigene Themen hingegen darf man so oft Variieren wie man will. Geschützte Werke bekannter lebender Komponisten entfallen als Vorlage, allein aus rechtlichen Gründen, von den ethischen Bedenken einmal abgesehen, ihre Verwendung ist gegen das Urheberrecht. Deshalb ist von übelster Natur die unerlaubte Verwendung von Themen anderer Komponisten, vor allem, wenn sie noch nicht so bekannt sind, dass ihre Themen als „Musikzitat“ herausgehört werden können. Wird trotzdem geklaut, und es findet dabei auch noch eine Unterlassung der Nennung der Urheberschaft statt, stellt dies gewiss eine Art kriminelle Handlung dar und der Komponist selbst wird zum Kriminellen. In solchen Fällen kann man nicht mehr von Komposition oder Komponist sprechen, sondern nur noch vom Plagiat und vom Plagiator.

 

   Das Pasticcio in der Musik:  Anders als in der Malerei stellt das „Pasticcio“ in der Musik nicht Abfälliges dar, sondern eine besondere Musikgattung. Ein Pasticcio in der Musik ist entweder die Zusammenstellung mehrer Werke oder Ausschnitte mehrer Werke eines anderen oder auch mehrerer noch lebender zeitgenössischer Komponisten, dass aber auch unter der Urheberschaft der Urheber veröffentlicht wird. Man findet solche Zusammenstellungen mit den sog. Potpurris. Pasticcios wurden beispielsweise im 19. Jh. häufig auf den Opernbühnen gegeben, z.B. aus Favoritthemen bestehend, quasi als ein Querschnitt aus dem anzukündigenden Opernprogramm. Eine unterhaltsame klingende Werbebroschüre. Ein Pasticcio in der Musik kann aber auch eine Zusammenstellung von eigenen Werken durch einen Komponisten selbst sein, um z.B. einen Querschnitt durch sein Schaffen aufzuzeigen. Oder eine Zusammenstellung mehrerer Werke zu einem neuen größeren Stück z.B. theatralischen Bühnenstück, so gab es im 19. Opern zu einem Libretto aus Musiken verschiedener Komponisten zusammengestellt. Ein Pasticcio ist mit einer gut arrangierten Gemäldeausstellung zu vergleichen, bei der die Bilder eines Künstlers oder mehrerer Künstler themenbezogen und unterscheidbar nebeneinandergestellt sind. Demnach sind das Pasticcio und auch das Potpurri in der Musik ehrbare Gattungen. Ich selbst habe einige Pasticcios verfertigt, bei „Ein Tag auf dem Lande“ wurden von mir Werke mehrerer Komponisten mit eigenen Kompositionen zu einem Zyklus zusammengestellt, und dem Inhalt eines Gedichtes unterworfen, wobei die jeweilige Urheberschaften der einzelnen Musikstücke deutlich kenntlich gemacht wurden.

 

   Das Plagiat in der Musik: Viel mehr als in der Malerei stellt das „Plagiat“ in Form einer Neuordnung (Neukomposition) ein abfällig zu behandelndes, wenn nicht unzulässiges Werk dar. Der Höhepunkt der Plagiate entstand zufällig in Anlehnung an die Opern-Pasticcios in der Mitte des 19. Jahrhunderts. So haben viele weniger bekannte Komponisten Themen bekannter Komponisten „entlehnt“ und durch virtuose Zugaben und Anreicherungen umarrangiert und beispielsweise für den Salon neu eingerichtet. Oft entnahm man unerlaubterweise Opernthemen, sogenannte Favoritthemen. So konnte eine Opernmelodie Donizettis beispielsweise in Wien durchaus als ein Adagio für eine Soloinstrument auftauchen und die Urheberschaft eines anderen Komponistennamens in der Form „Comp. von..“ tragen. Dies ist damals sicherlich nicht in böser Absicht entstanden. Denn viele Operndirektoren haben Themen aus Opern Donizettis, die sie bei einer Aufführung in ihrem Haus selbst dirigierten, für den Salon eingerichtet. z.B. für Querflöte und Klavier. Quasi dann zu erwerben wie ein Souvenir, als Erinnerung an diese Inszenierung. Da man es neu zusammengestellt (also „komponiert“)hatte, schrieb man „Comp. von...“Da damals Alle davon ausgingen, dass man das Thema erkennen kann, und den eigentlichen Komponisten erkennen konnte, und deshalb nur den „Arrangeur“ mit der Beischrift „Comp. von...“ zu erkennen gab. Erst viel später hielt man schwer zu erkennende da reich virtuos verzierte Salon-Werke des 19. Jahrhunderts für eigenständige Kompositionen wenig bekannter Komponisten, und als man Übereinstimmungen mit berühmten Opernwerken der damaligen Zeit fand entstand der Eindruck des Plagiats.

 

   Die Verantwortung des Komponisten: für Komponisten ist das Thema „Komposition nach Vorlage“ ein schweres und heikles Thema. Jeder Komponist trägt eine große Verantwortung und insbesondere immer dann, wenn er ein „Musikzitat“ oder eine „Vorlage“ einsetzt. Dann ist er zu bestimmten Dingen per Gesetz verpflichtet. Dieser Einsatz muss zu rechtfertigen und nachvollziehbar und erkennbar sein und letztlich darüber hinaus auch noch musikalisch und künstlerisch Sinn machen. Ein Beispiel ist eine Komposition Leopold Mozarts, die mit einem allbekannten Zitat aus Händels Feuerwerksmusik beginnt, aber dann plötzlich ganz anders weiterläuft. Die Erwartung der Zuhörer wird/wurde in einer Weise getäuscht, dass das Ganze wirkte wiederum witzig. Mozart komponierte so einen musikalischen Spaß und das Zitat war gerechtfertigt. 

 

Darüber hinaus kann man die Berührungspunkte zwischen Komponisten regeln. Stichwort dazu ist z.B. der Begriff

-Komposition. Was versteht man in der Musik über CROSSOVER-Komposition? Nun, gleich zweierlei Dinge:

 

1.       CROSSOVER-Kompositionen: Ein Werk das gleich mehrere verschiedene Musikstile in sich vereinigt, quasi einen Zug durch alle möglichen Stile bietet und deshalb selbst einen Stile-Mix darstellt. Eigentlich schwache Kompositionen, es sei denn der Stil-Mix verfolgt ein übergeordnetes Ziel. Als Beispiel für eine gelungene Crossover-Komposition kann deshalb Andrew Lloyd Webbers Musical „Starlight Express“ gelten. Der Komponist schreibt Charakterstücke für bestimmte Rollen (Dampflock, Diesellok, E-Lok etc.) in unterschiedlichen Musikstilen in Anlehnung von Rock n Roll, Rock, Pop, Musical, Dance etc.

 

2.      CROSSOVER-Komponieren: zu einem gemeinsamen Thema treten mehrere Komponisten an und erstellen dazu ihre eigenen Werke. Diese werden dann unerkannt einem Publikum/einer Jury vorgeführt, welche über die Kompositionen urteilen. Beispielsweise wäre ein gemeinsames Thema der „Frühling“ oder die Vertonung eines Gedichtes etc. Wie könnte man auch das Zusammenarbeiten von Komponisten fruchtbarer gestalten, als das die Eigenleistung des jeweiligen Komponisten erhalten bleibt.

 

Marie-Luise Dingler und Christoph Dingler gründeten 2009 den Crossover Composition Award (CCA). Ihr Ansinnen damit war es, das Repertoire für zwei Violinen zu vergrößern und weiterzuentwickeln. Der CCA findet alle drei Jahre als international ausgeschriebener Kompositionswettbewerb statt. Dabei sollen neue Werke für die Besetzung zwei Violinen entstehen. Nach einer Vorauswahl entscheidet alleine die Gunst des Publikums. Der Komponist bleibt bis zur Preisverleihung anonym. Es spielt bei der Komposition keine Rolle, ob man sich als Komponist an bekannten Stilrichtungen orientiert oder etwas ganz neues erschafft. Der Fantasie sind beim CCA keine Grenzen gesetzt.

 

www.crossover-composition-award.com/

 

CROSSOVER regelt Berührungspunkte zu anderen Komponisten in Form eines vernünftigen kompositorischen Austausches unter lebenden zeitgenössischen Komponisten. Allein durch Festsetzung eines gemeinsam zu bearbeitenden Themas oder Stils, aber in getrennten eigenverantwortlichen Kompositionen. Mehr ist auch nicht erlaubt und nicht möglich. Auch schon im 19. Jahrhundert entstanden an den Opernbühnen Crossover-Kompositionen. Ein Beispiel dazu ist eine umfassende mehrteilige Opernmusik aus Einzelkompositionen von Leopold Witt und Franz von Suppé, die in den 1840er Jahren in Ungarn (Pest)aufgeführt wurde.

 

2.1. Eigene Vorlagen-Kompositionen und Crossover-Projekte

 

Mit anderen Komponisten habe ich mich selber auf Crossover-Projekte eingelassen. Entschieden wurde damals für ein eng definiertes gemeinsames Thema und Jeder komponierte dazu sein Stück. Die gemeinsamen Themen, zu denen ich auch Stücke geschrieben habe waren: „Seikilos-Fuge“ und „Hymne und Hymnen-Streichquartett“. Im Grunde ist auch die Teilnahme an einem Kompositionswettbewerb nichts anderes als wie die Teilnahme an einem Crossover.

 

 

C Dissonanzen

 

In der Antike bedeutete „dis-sonus“ „verworren“, „unharmonisch“, „verschieden tönend“. Letztere Übersetzung ist dabei die wertfreieste. Der Gegensatz dazu „con-sonare“ hat eher zwei Bedeutungen: „mit etwas zusammen tönen“, „erschallen“, „im „Einklang ertönen“ zum Einen, zum Anderen noch „harminieren“, „übereinstimmen“. Erst durch letzteres wird der Gegensatz zu „dis-sonus“ gebildet. Zieht man die musikalischen Begriffe „Dissonanz“ und „Konsonanz“ zur Klassifizierung oder Bewertung von Musik oder einem „Zusammenklingen“ heran, dann muss dieses „Zusammenklingen“ nicht gleichzeitig erfolgen. Auch aufeinanderfolgende Töne, - die wir hören und deshalb miteinander vergleichen weil sie direkt nebeneinander stehend erklingen, - können von uns als eine Art „Zusammenklang“ bewertet werden, und auf uns „dissonant“ oder „konsonant“ wirken.

 

1. „Krumme“ Tonleitern, maßlos, individuell: von der Antike bis Gregor

 

„Verallgemeinerte Prinzipien“, „weite Verbreitung“, waren in der Antike mehr oder weniger nur im Ansatz vorhanden. Auch das alles genauestens gemessen, gewogen, geordnet und systematisch bewertet wurde, das war damals nicht der Fall. Letzteres ist eher ein Phänomen unserer Zeit, und wir müssen uns fragen, was wir darüber alles verloren haben. Mit der mathematischen Erfassung hat die Musik gewiss viel von ihrer Natürlichkeit verloren.

 

In Griechenland gab es wohl für jeden Stamm eine charakteristische Tonleiter. Später leiten sich davon noch die Bezeichnungen der „Kirchentonarten“ ab wie z.B. Phrygisch, Dorisch etc. Im Verständnis der Urgriechen entsprach die damalige dorische Tonleiter wohl dem Charakter der Dorer und die phrygische dem Charakter der Phryger. Zog man zu Wettkämpfen oder zu Schlachten auf und erscholl der Aulos, so erkannte man am Charakter der gespielten Weise den Stamm? Eine Vermutung, aber vielleicht war es genau so gedacht, noch heute kann man beispielsweise beim Dudelsack- und Sackpfeifenspiel irische und schottische, von bretonischen, baskischen oder tschechischen Weisen unterscheiden, teils aufgrund der Verwendung bestimmter Tonleitern. Letztlich bot sich mit dem Beginn einer Verallgemeinerung solcher Tonleitern den Griechen mit den „Stammesbezeichnungs-Tonleitern, die übrigens nicht mit den Kirchentonarten identisch sind, eine erste Klassifizierungsmöglichkeit. Einheitlich waren diese Tonleitern trotzdem nicht. Man könnte annehmen, es wurden die Lyren so gestimmt, dass an bestimmten Stellen halb- und Ganztonschritte zu liegen kamen, die den Charakter ausmachten, dies ist aber nur bei dem diatonischen Tongeschlecht der Fall. Ansonsten wurden auch andere Tonabstände und andere Skalen erzeugt, darunter gewiss viele individuelle Skalen.

 

Die Beschäftigung mit der altgriechischen Musik hat mich zur Komposition vieler meiner Kompositionen angeregt, u.a. „Pastorale“, „Odyssee“, „Ein Bild in Stein“, „Hurrian Hurry“, um nur einige zu nennen.  

 

Die Griechen kannten wie viele heutige orientalische Kulturen nicht nur den Viertelton, sondern auch kleinere und weit größere Intervalle als Viertel-, Halb- oder Ganzton. Theoretisch bezeichneten die Griechen diese vielfältigen Tongeschlechter mit diatonisch, chromatisch und enharmonisch, wobei diese Begrifflichkeit mit unserer modernen Begrifflichkeit nichts gemein hat. Verständlich wird dies bei Betrachtung einer Beschreibung dieses Phänomens in Meyers Konversationslexikon deutlich:):„Als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der altgriechischen von der modernen Musik darf ihre melodische Mannigfaltigkeit gelten, wie sie in den Tongeschlechtern und Schattierungen zu Tage tritt. Unter den erstern, deren es drei gab, das diatonische, chromatische und enharmonische, verstand man die Modifikationen der Intervalle innerhalb eines Tetrachords, beim enharmonischen Geschlecht bis auf das dem heutigen Ohr unfaßbare Intervall des Vierteltons, während die Schattierung (Chroma) noch feinere Intonationsunterschiede bezeichnet. Ob dieselben in der praktischen M. zur Verwendung kamen oder nur als Ergebnisse rechnender Spekulation gelten können, ist eine noch streitige Frage; für die Richtigkeit der ersteren Annahme spricht jedoch die Thatsache, daß der Kirchenvater Clemens von Alexandria (starb um 220) seiner Gemeinde den Gebrauch der chromatischen Tonfolgen, als der Würde des Gottesdienstes nachteilig, untersagte.“ (Meyers Konversationslexikon, Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892,11. Band: Luzula – Nathanael, hauptstück: Musik (im Mittelalter), S. 920.

 

Die einzelnen Tonabstände waren mal größer und mal kleiner. Es entstanden viele „krumme Tonleitern“. So waren im Zusammenspiel gewisse „Dissonanzen“ und „Unreinheiten“ bei der gemeinsamen Stimmung und Tonbildung bei antiker Musik gewiss immer gegeben. Vielleicht die „Würze“ bei dieser Musik. Bei der Konstruktion der Auloi (Blasinstrumente) entstanden die Tonleitern durch die Anordnung der Tonlöcher. Diese wurden aber vielleicht willkürlich nach der Lage der Finger, nach Augenmaß oder einer individuellen Überlieferung angefertigt, so z.B. wie ein Instrumentenmacher seine Kenntnisse an seinen Schüler weitergab. Und die Lyren wurden nach gehör gestimmt. Vielleicht entstanden so die Schattierungen der Tongeschlechter auch als individuelle Vorlieben. Zudem Fixierten oder Beschränkten die Instrumente in der Praxis die Vielfalt der möglichen Skalen auf Wenige. Bei der Lyra konnte man mehr Skalen durch „Verstimmen“ der Saiten erzielen, beim Aulos durch Verschluss überzähliger Tonlöcher durch Wachsstopfen. 

 

Aristoxenos verankerte seine Theorie auf das durch das „Gehör wahrnehmbare“, versuchte er doch alle möglichen „hörbaren“ Tonleitern denen er begegnete wissenschaftlich zu erfassen und beschrieb neben halb- und Ganzton Intervalle wie 1/4 Ton, 2-Ton, 1/3-Ton, 11/6-Ton, 3/8-Ton, 7/4-Ton, 3/2 Ton, 3/4-Ton und 5/4-Ton. Mit allen denkbaren Schattierungen (Chroma, Enharmonion) gab es für Aristoxenos letztlich unendlich viele Tonleitern. Mit den Entwicklungen in der Neuen Musik, ist Aristoxenos weit mehr als Theoretiker wieder in den Vordergrund gerückt als beispielsweise Pythagoras, der mathematisch das diatonische Tonsystem korrekt erfasste. Doch Aristoxenos hatte seine Bedeutung auch für die Entwicklung der Dur- Molltonleitern. Hatte Pythagoras die Intervalle korrekt vermessen, so bildeten die auf dem Tetrachord basierenden diatonischen Formen der Oktave (Tonleitern) des Aristoxenos die Grundlage für die Bildung der Kirchentonarten, wie sie durch Ambrosius und Gregor dem Großen in der Kirchenmusik (s.u.)vorgeschrieben wurden.  

 

Dabei hatte Pythagoras den Weg richtig beschritten, er errechnete exakte Tonabstände und schaffte die Grundlagen dafür um die Tonleitern systematisch neu zu ordnen.

 

Über Pythagoras wir in einer Legende erzählt, er habe die Idee von der Abhängigkeit der Tonhöhen von geometrischen Maßen und vom Gewicht eines Körpers beim Beobachten von Schmiedehämmern in einer Schmiede bekommen: jeder Hammer mit unterschiedlicher Größe und Gewicht erzeugte auch einen eigenen von den anderen unterscheidbaren Ton bestimmter Tonhöhe. So wurde er zu seinen Experimenten mit dem Monochord gebracht, einer Versuchsapparatur mit einer einzelnen Seite die man durch Abklemmen beliebig verkürzen und durch Anreißen zum Schwingen und erklingen bringen konnte. So gelang Pythagoras mit Hilfe dieser Apparatur Töne in Abhängigkeit von Saitenlängen und Saitenverhältnissen erzeugen und auf diese Weise experimentell Intervallabstände erforschen und später mathematisch berechnen. Noch bis heute gelten die von ihm ermittelten Zahlenverhältnisse:

 

Oktave 1:2
Quinte 2:3
Quarte 3:4

große Sexte 3:5
große Terz 4:5
kleine Terz 5:6
kleine Sexte 5:8

kleine Septime 5:9
große Sekunde 8:9
große Septime 8:15
kleine Sekunde 15:16
Tritonus 32:45 (verminderte Quinte)

 

So konnte sich das Diatonische Tongeschlecht der Griechen als Grundstein der Harmonielehre der westlichen Welt durchsetzen. Die antike Musik ging nach dem Zusammenbruch der antiken Welt verloren. Das was übrig blieb wurde neu bewertet. Betrachtet man diese Neubewertung, erkennt man woran die Bewertung von Klang abhängt, und auch die Bewertung von Konsonanz und Dissonanz. Letztere Begriffe sagen etwas über die Menschen und ihre Hörphysiologie und deren Verarbeitung im menschlichen Gehirn aus. Die Begriffe trennen zwischen dem „Was zusammen klingt“ und dem „Was zusammen nicht klingt“. In dieser Zeit sah man das „Was zusammen nicht klingt“ oder „Was zusammen nicht gut klingt“ noch nicht als ein mögliches Stilmittel in der Musik an, eher als etwas für den musikalisch-liturgischen Gebrauch ungeeignet. Wie wir oben gesehen haben, verbot erstmals der Kirchenmann Clemens von Alexandria um 200 den Gebrauch der altgriechischen Chroma- und Enharmonion-Tongeschlechter. Ambrosius verstärkte dieses Verbot, indem er nur den Gebrauch von vier diatonischen Skalen erlaubte. Papst Gregor der Große Bestätigte dieses Verbot, aber erweiterte das Tonsystem um vier weitere diatonische Skalen. Dementsprechend waren die „krummen Tonleitern“ im kirchlichen Bereich verboten und abgeschafft, diese kirchliche Doktrin wirkte zudem bis in den weltlichen Bereich.

 

Ein „Zensur der Künste“ hatte es schon in den Antiken Zeiten gegeben, auch weniger sinnstiftend: „Weil das so ist, müssen die Dichter und alle Künstler unter politische Kontrolle gestellt werden, damit ihr Talent (und damit der Einfluß der Götter im Staat und auf die Seelen) in die rechten Bahnen gelenkt wird. „Der rechte Gesetzgeber wird die dichterischen Talente durch Überredung oder, wenn dies nicht gelingt, durch Zwang dahin bringen, bei schönem und löblichem Text mit ihren Rhythmen und Harmonien nur die Körperbewegungen und Melodien besonnener, tapferer und durchaus tugendhafter Männer darzustellen.“ (Nomoi 660 a); man muß sie zwingen, „das Bild der guten Sinnesart zum Leitstern ihrer Gesichte zu machen oder ihre Tätigkeit bei uns aufzugeben“ (Staat 401 b). Und ganz im Sinne der Pythagoräer sieht er den Zusammenhang zwischen Musik und Staatsverfassung und warnt vor verhängnisvollen Folgen der beliebigen Neuerungen auf dem Gebiet der Musik, die den Staat revolutionieren: „Daß ja keine ungeregelte Neuerung sich einschleiche auf dem Gebiet der Gymnastik und der musischen Bildung ... Denn eine neue Art von Musik einzuführen, muß man sich hüten, da hierbei das Ganze auf dem Spiel steht. Denn nirgends werden die Tonweisen verändert ohne Mitleidenschaft der wichtigsten staatlichen Gesetze ... Denn man sieht die Sache als eine bloße Ergötzlichkeit an und meint, sie richte keinen Schaden an.“ (Staat 424 b).“ Platons Ideen von einem Staat sind gewiss nicht Lebens- oder Erstrebenswert. Seine Thesen zu Dichtkunst und Musik sind ebenso absurd wie seine Forderung dass „jeder nur in einem einzigen Beruf Tüchtiges leisten kann, und wenn er sich in vielem versucht, bringt er es in keinem zu etwas.“

 

Leider hat Platon großen Einfluss ausgeübt:Vor der Musik ist hinsichtlich des öffentlichen Nutzens eher zu warnen, wie sie mit Platon feststellen: „Sie ist ein Hindernis und widersetzt sich dem Streben nach dem Sittlichen, indem sie die Jugend zur Zuchtlosigkeit und Ausschweifung verführt.“ (Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos VI, 34).  (Zitate zur Philosophie aus: PHILOSOPHIE DER KUNST ODER DIE SOGENANNTE ÄSTHETIK II. Teil: III. Zur Geschichte der Kunstphilosophie A. Die Kunstphilosophie der Antike Lehrmaterial aus dem Institut für Philosophie ehemals Philosophisches Institut der HHU Düsseldorf, von Lutz Geldsetzer).  

 

An dieser Stelle möchte ich Jeden ermutigen zu komponieren wenn er nur will und kann, und unabhängig davon, ob das Komponieren eine Haupttätigkeit darstellt oder nicht. Wer sich zum komponieren berufen fühle der komponiere und widerlege Platon! Die Kunst propagiert ja seit geraumer Zeit, das Kunst nur von einem hauptberuflichen Künstler kommen kann, wenn er nur seinen Lebensunterhalt damit verdient und es bei einem Professor erlernt hat; und dann ist es egal was er macht, auch wenn er nur ein Gurkenglas aus einem Supermarkt blau anmalt, so ist es Kunst. Malt jemand Anderes ein Gurkenglas blau an, der damit seinen Lebensunterhalt nicht verdient oder es nicht gelernt hat, so ist es keine Kunst. Sollen die Künstler damit glücklich werden, aber ich halte das für nicht richtig. Und in der Musik beginnt man nun auch damit nicht mehr das Werk allein sondern das Werk und den Urheber zusammen als Kunst zu betrachten; wer komponiert ist nicht gleich Komponist, sondern Komponist ist nur wer nach Platon dies zum einzigen Tätigkeitsfeld erkoren hat. Man kann von Glück reden, wenn man das Komponieren studiert hat, ansonsten geht man unter oder vielleicht gerade noch als Hobby- oder Laienkomponist durch, aber dann ohne große Möglichkeiten. Doch wie irrig ist eine solche These für Dichtung und Musik? Ob jemand komponieren kann oder nicht, wie kann das ein Postulat entscheiden. Und was als Komposition die Zeiten überdauert, wie kann das ein Postulat entscheiden? All das wird allein nur das Werk selbst und seine Rezeption erbringen können.

 

Postulate zur Stellung der Künstler können da nichts Gutes bewirken. Hätte man solche Postulate in der Vergangenheit gehabt, was wäre mit der klassischen Dichtung und Musik? Was wäre wenn Minister Goethe oder die adelige Droste von Hülshoff nicht hätten dichten dürfen. Wenn es nach Platon ginge wären die Gebrüder Marcello Juristen geworden und hätten keine Note geschrieben. Auf was hätten sich die Mozarts und Beethoven beschränken sollen: Musiklehrer? Organist? Komponist? Klaviervirtuose? Konzertveranstalter? Und gänzlich nur als Verlagsmitarbeiter hätte ein Anton Diabelli nie eine Kirchenmusik komponiert. Und Albert Schweizer? Er hätte die Qual der Wahl: Tropenmediziner, Organist, Musiktheoretiker? Und Leonardo da Vinci: Bildhauer, Architekt, Maler, Erfinder, Alchemist? Die Liste könnte endlos lang werden. Natürlich sind wir nicht alle da Vincis oder Mozarts. Und die meisten Berufskomponisten sind die besseren Komponisten. Aber darum geht es nicht. Jedem der komponiert, kann auch einmal ein großer Wurf gelingen. Und diesen gilt es machen zu können. Letztlich hat es nicht immer nur Berufsmusiker gegeben, gerade in der Musik war es nicht so; selbst aus den frühen Zeiten lassen sich dafür schon Belege erbringen, von Anfang an war in der Musik alles anders: „Diejenigen, die mit der Choreia zu tun hatten, nannten die Griechen vorzüglich „musikós“, weil sie etwas betrieben, was unter dem Patronat der Musen stand. Werden auch ihre Zahl (meist 9) und ihre Namen (Thalia = Komödie, Melpomene = Tragödie, Erato = Elegie, Polyhymnia = Lyrik, Kalliope = Beredsamkeit und Epos, Euterpe = Musik, Terpsichore = Tanz, Klio = Geschichte, Erzählung, Urania = Himmelskunde) verschieden angegeben, so waren sie doch von den handwerklich tätigen Künstlern wohl unterschieden. Noch jetzt wird ja zuweilen von den „musischen Künsten“ gesprochen. Daß sie damals Geschichte und Himmelskunde, also nachmalige Wissenschaften, einschlossen, zeigt ihren Charakter: diese Künstler waren „wissenschaftlich“ tätig. Diese Unterscheidung hatte ihre ökonomische Seite. Die Handwerker (und bildenden Künstler) lebten von ihrer Kunst und ließen sich ihre Produkte als „Lohn“ bezahlen. Die „Musiker“ schufen in ihren „Mußestunden“, nebenberuflich oder außerberuflich und „aus Berufung“. Wenn sie nicht freie Patrizier und also ökonomisch unabhängig waren, sondern auch von ihrer Tätigkeit lebten, so legten sie Wert darauf, für ihre Kunst nicht entlohnt, sondern belohnt zu werden, d. h. Geschenke, Ehrengaben, „Honorar“ zu erhalten, eine feine Unterscheidung, auf welche auch heute noch die „Freiberufler“ Wert legen. Denn daß geistige Arbeit nicht entlohnt, sondern nur „honoriert“ werden könne oder doch solle, ist seitdem eine abendländische Maxime geblieben.“ (aus: PHILOSOPHIE DER KUNST ODER DIE SOGENANNTE ÄSTHETIK II. Teil: III. Zur Geschichte der Kunstphilosophie A. Die Kunstphilosophie der Antike Lehrmaterial aus dem Institut für Philosophie ehemals Philosophisches Institut der HHU Düsseldorf, von Lutz Geldsetzer).   

 

Doch kehren wir zurück zu den Tonleitern: Als neues Ideal liturgischer Gesänge entstanden im Übergang von der Spätantike in das Frühmittelalter die antiken Kirchengesänge im neuen Kleid eines pythagoreischen gleichförmigen Tonleitersystems, den Kirchentonarten, aufgebaut als Oktavenleitern; aus diesen Kirchentonarten sollten sich bald unsere Dur- und Molltonarten entwickeln.

 

Kannten vor allem die alten Griechen viele verschiedene Charakterarten (Tongeschlechter und Schattierungen)und damit viele Tonleitern für jede einzelne Tonstufe, durch unterschiedliches Verstimmen der Saiteninstrumente hervorgebracht, so gab es mit den Dur- Molltonleitern nur noch zwei besonders stark sich unterscheidende Charakterarten für jede einzelne Tonstufe. Auch haben die antiken Lyren die möglichen Tonstufen stark eingeschränkt, war der tiefste Ton D, so konnte man Skalen auf D bilden, vielleicht noch Skalen von E aus, aber es gab wohl kaum Griffe um alle Saiten beispielsweise zu verkürzen. Auf heutigen Instrumenten kann man alle Tonarten spielen. Vor allem nach enharmonischer Anpassung durch Bach (wohltemperiert) ist Alles problemlos durch den ganzen Quintzirkel modulierbar geworden. Aber dafür haben die heutigen Tonstufen keinen eigenen Charakter. Viele Musikwissenschaftler sprachen und sprechen den Tonarten Eigenarten ab. Einige berühmte Komponisten haben sich hingegen anderweitig entscheiden und sich zu bestimmten Charakteristiken der Tonarten bekannt, u.a. Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert. Dabei sind teils aber unterschiedliche Bewertungen entstanden, z.B. für D-Dur mit Lobpreis, majestätisch, kriegerisch, kräftig, Marsch aber auch mit Sehnsucht und Schmerz. E-Dur mit Todesgedanken, überirdisch, besonders erhaben, weihevoll, feierlich, religiös, innerlich, Gottestonart und Liebe. (Vgl. dazu Wikipedia „Tonartencharakter“: Bekenntnisse). Man kann festhalten: in der Antike pflegte man in der Praxis viele charakterlich unterschiedliche Tonleitern auf wenigen Tonstufen, in der heutigen Harmonie praktiziert man wenige charakterlich unterschiedliche Tonleitern (Dur, Moll) auf allen Tonstufen. 

 

In der Einstimmigkeit können Dissonanzen nach obiger Definition („Was nicht gut oder nicht zusammen klingt“) nur in der Abfolge der Töne (Intervalle) entstehen. Und noch zu Gregors Zeiten war die Einstimmigkeit ein Ideal in der Kirchen- und Kunstmusik. Der Wegfall von „dissonanten“ Mikro- und Makrointervallen, also Intervallen die in ihrem Tonabstand variabel größer oder kleiner als ein Halbton- oder Ganztonschritt sind, wie er durch Clemens von Alexandria bewirkt wurde, schränkte aus heutiger Sicht die Mittel der Komposition ein. Will man als Komponist auf „krumme Tonleitern“, oder Makro- und Mikrointervalle zurückgreifen, kann man dies entweder durch den Bau spezieller Instrumente oder durch elektronische Geräte (PC, Programmierung, Synthesizer etc.) wieder erreichen. Durch diese Mittel lassen sich nicht nur „krumme“ sondern auch ganz neue Tonarten entwickeln, die wiederum mathematisch gleichförmig sind. Letzteres z.B. durch die Unterteilung einer Oktave in mehr als nur 8 Töne. Ein bekannter Vertreter dieser Musikrichtung war der amerikanische Komponist Harry Partch.

 

Bekannte traditionelle diatonische Tonleiter-Sonderformen, z.B. durch Reduktion der Tonanzahl und durch die Abfolge der Töne charakterisiert, sind z.B. die traditionellen pentatonischen Tonleitern und die Naturtonreihe, um nur einige wenige zu nennen.                      

 

Der Zusammenschluss von Individuen zu einem größeren Ganzen in der Musik war schon in der Antike bekannt,  z.B. ist der antike Chor zu nennen. Alle sprachen denselben Text, verstärkten sich gegenseitig, keiner nahm eine andere Rolle ein. Der Chor war ein geklontes Individuum. Auch Zusammenstellung von Musiker zu übergeordneten Gruppen war bekannt. Hier gab es hingegen Spezialisten, z.B. für Rhythmus, Melodie und Gesang. Man schloss sich zu einem neuen Ganzen zusammen um gemeinsam zu musizieren. Trotzdem gab es ein seltsames Phänomen: das „gedoppelte Spiel“, so findet man es angewandt bei verschiedenen Flöten und Schalmaien, wobei ein Musiker sich selbst begleitete in dem er zwei Instrumente geleichzeitig spielte. Bekannt von zahlreichen antiken Aulos- und Auleten-Darstellungen. Diese Spielweise mag aus dem einsamen Hirtendasein entsprungen und zu einer festen Tradition herangewachsen sein. Vieles leitete sich aus den Zeiten der Anfänge des Musizierens ab. Man erinnere sich, das viele der „krummen Tonleitern“ durch die einfache Herstellung der damals noch primitiven Instrumente zwangsläufig entstanden und noch nicht rational hinterfragt wurden. Und doch schlummert in den gedoppelt geblasenen Schalmaien und den Mehrpfeifen-Panflöten schon der Keim für die Entwicklung von Instrumenten wie die modernen Orgeln, als deren Erfinder mit der Entwicklung der Hydraulis ein Ktesibios aus Alexandria gilt. Mit dem Zusammenspiel Mehrerer (Musikgruppen, Orchester) und der Möglichkeit das ein Musiker mehrere Töne gleichzeitig spielen konnte wie beim Aulos, den Orgeln und allen Saiteninstrumenten, war von Anfang an mit Erfindung dieser Instrumente und Musikgruppen auch die Möglichkeit zu weit größerer Dissonanz gegeben, auch unter der Verwendung geordneter gleichförmiger diatonischer Tonleitern.

 

    

2. Reine Stimmung, Konsonanz, Zusammenklang, Mehrstimmigkeit, Größere Dissonanzen, Sekunde, Septime, Quarte, Verminderte

 

Als „dissonant“ wird musikalisch der in der Mehrstimmigkeit ablaufende Zusammenprall von zwei Tönen in einem bestimmten Abstand verstanden. Verstärkt wird eine solche Dissonanz noch durch Mitklingen weiterer Töne. Unter den zusammenklingenden Intervallen werden vor allem die Sekunde, die Sechste, die Septime und die None als dissonant empfunden. Will man solchen Dissonanzen gänzlich aus dem Weg gehen, so entsteht ein Kompositionsmittel, dass ich als „Ideal vom reinen Klang“ bezeichne. Es lässt sich z.B. fakultativ zudem noch mit Instrumenten reiner Stimmung verstärkt verwirklichen. Hier ist der Charakter des Stückes von der Tonart her in sich rein. Durch Modulationen entstehen Dissonanzen auf Grund fehlender harmonischer Umdeutbarkeit von Tönen. Lässt man Modulationen aus, entsteht eine sehr Reine Musik durch eine ausschließliche Verwendung von Konsonanzen und Verzicht auf Modulationen. Abwechslungsreicher kann man dann eine solche Musik z.B. durch Rhythmen, Melodie- und Themenwechsel etc. gestalten. Letztlich ein Stilmittel das man durchaus in bestimmten Situationen einsetzen kann wie langanhaltende Dissonanz. Die Gefahr besteht, dass Zuhörer eine solche kristallklare Musik als zu simpel und wenig abwechslungsreich empfinden. Ich selbst habe einige Kompositionen mit diesem Stilmittel verfasst, u.a. „Ein Bild in Stein“ und „Magnifikat“.

 

Herkömmliche europäische Kunstmusik

Die europäische Kunstmusik verwendete bisher Dissonanzen komplex. Ob versteckt in Akkorden, auf Durchgangstönen und unbetonten Taktschlägen gibt es sie, meist wird eine entstehende Dissonanz immer sogleich Aufgelöst, vor allem wenn sie doch auf dem schweren Taktschlag erfolgt. Das Prinzip dahinter: Spannung und Entspannung. Ein zentraler Punkt dabei ist die Vorbereitung und Erzeugung von Reibung und die Folge von Harmonie. Mit anderen Worten Spannungsbögen und Kontraste.

 

Neue Musik

In den neuen Musikrichtungen, vor allem bei der Erstellung sog. Atonaler Musik, der Musik der Avantgarde und der elektronischen Musik wird auf diese Prinzipien (Vorbereitung und Auflösung von Dissonanzen) i. d. R. heute immer mehr verzichtet. Dissonanzen können dauerhaft anklingen ohne Auflösung, kommen auf den betonten Taktschlägen, auch sind sie plötzlich und unvorbereitet da, sowie deutlich hörbar ohne versteckt zu werden. Der Dauerhafte Anklang der Dissonanz führt bei vielen Menschen zur empfundenen Kakophonie. Kakophonie macht Sinn wo es als Stilmittel sinnvoll erscheint. Letztlich kann auch Neue Musik Harmonien enthalten. Auch alle Übergänge und Mischungen zwischen Dissonanzen und Konsonanzen. Dabei sind solche Felder sehr Vielfältig (Erweiterung des Ausdrucks) und schwer zu beschreiben. Eine dissonante Musik hat aber ihre Berechtigung: Z.B. Musik als Aufschrei, Musik als Bild des Schreckens, Grauens, des nicht ertragbaren. Aber auch als Stilmittel um ein anders Sehen oder eine fremde Unverständlichen, Diskrepanten oder Neuen, bisher Unbekannten. Mit Neuer Musik können neue Hörwelten erschaffen werden, die einen Zuhörer in völlig neue Welten und Perspektiven entführen können. Vergleiche ich diese Musiktechnik mit der Maltechnik eines Van Gogh, so ist diese auf den ersten Blick auch eher „unharmonisch“, mit vielen „Dissonanzen“ in der Perspektive, Farbauswahl, Ausführung; vor allem im Vergleich zur klassischen Malerei. Seine Bilder können trotzdem von einem Betrachter als „harmonisch“ empfunden werden, hauptsächlich durch Verständnis des Kunstwerks als Ganzes und als Individuelles. Die Betrachtung erfolgt meist im Sinnzusammenhang mit dem Motiv und der Entstehung und dem Blick des Künstlers auf die Welt, in die er seine Malerei gestellt hat. Ein Werkverständnis funktioniert allein nur unter der Prämisse dass sich ein Betrachter/Zuhörer auf die Bildsprache/Tonsprache des Künstlers/Komponisten einlässt. Ich persönlich bin ein Fan von Van Gogh und seiner Malerei. Neue Musik kann ebenso begeistern.

 

Musikbeispiele Atonal/Neue Musik/Experimentelle Musik:

Ich will an dieser Stelle einfach mal einige meiner Meinung nach gelungene Kompositionen atonaler Musik auflisten, die als exemplarische Hörbeispiele zum ersten Verständnis für Neue Musik dienen kann:

 

(1)    Vereinzelt im Barock gab es musikalische Ausformungen die zu Ergebnissen führten, die vom Höreindruck mit atonaler Musik zu vergleichen waren. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich Ignatz Franz Bibers „die Liederliche Gesellschaft von allerley Humor“ aus „Battalia a 10“. Mit „Battalia“, einem musikalischen Schlachtengemälde vertont Biber eine Kriegsszene und ganz im Sinne des Absolutismus die Schlacht verherrlichend, Satzbezeichnungen wie „Mars“ künden davon. Mit den musikalischen Stilmitteln ahmt Biber die „Geräuschkulisse“ der Tage und Abende der Schlacht nach, im zweiten Satz mit der „Liederlichen Gesellschaft von allerley Humor“ durcheinander singende betrunkene Soldaten verschiedener Nationen. Mit solchen Stilmitteln will Biber die Zuhörer ganz nah an das beschriebene Geschehen heranführen als ob sie selbst dabei seien:

 

Zum dissonanten 2. Satz:
„hic dissonant ubique, nam ebrii sic diversis cantilenis clamare solent“ also: „hier ist es überall dissonant, denn die Betrunkenen pflegen so verschiedene alte Lieder zu brüllen.“
am Ende der Cembalostimme: "Das ist in eyl abcopirt worden"
Der 2. Satz fällt aus dem Rahmen, weil er 10-stimmig ist (der Rest durchgehend 5-stimmig). Biber zitiert mehrere damals volkstümliche Melodien[16], das ergibt bald ein misstönendes „pathologisches“ Quodlibet. Identifiziert sind:
1) Lied Ne takes mý mluwel aus dem slowakischen Codex Vietoris (1660–1670);
2) Lied Vojanský Figator aus Böhmen (18. Jahrhundert);
3) Törökös, also türkischer Tanz aus Ungarn (18. Jahrhundert), bekannt aus La rencontre imprévu von Gluck / Opern (Nummer 33) (1764);“

(Wikipedia: „Heinrich Ignaz Franz Biber“).

 

Ich selbst habe die dissonante Stelle aus Bibers „Battalia“ herausgenommen und in ein neues harmonisches Stück umgeformt: dabei herausgekommen ist die Komposition „Fröhliches Lied“. Nach dem Motto: es gibt keinen Abend vor der Schlacht mit betrunkenen durcheinander singenden Soldaten, weil Frieden ist. Eine Musik als Friedensappel. Dabei habe ich die enthaltenen identifizierten und nicht identifizierten Lieder nicht isoliert um sie hintereinander zu stellen, das wäre zu einfach gewesen. Nein, ich habe das ganze Stück in kleine Bruchstücke zerlegt und gänzlich neu zu einem zweistimmigen Satz im barocken Stile gleich einem Mosaik zu einem neuen „Bild“ zusammengefügt.

 

Es gibt ein ähnliches weiteres Beispiel wie Bibers „Liederliche Gesellschaft“: In der Repräsentations- und Militärmusik des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts war es üblich, wenn zur Parade Militärkapelle und Spielmannszug antraten, dass zwei Präsentiermärsche gleichzeitig erklangen: Der „Altpreußische Grenadiermarsch“ (durch den Spielmannszug) und der „Preußische Präsentiermarch Friedrich Wilhelms III.“ (durch das Heeresmusikcorps).

 

„Dabei war bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs eine musikalische Besonderheit üblich: Trat ein Spielmannszug zusammen mit einem Musikkorps an, spielte nur das Musikkorps den Präsentiermarsch, die Spielleute intonierten stattdessen ihren traditionellen Präsentiermarsch, den Altpreußischen Grenadiermarsch. Beide Stücke waren aufgrund ihrer Melodie, der Taktart und der Tonart eigentlich unvereinbar, trotzdem wurden sie aus Traditionsgründen synchron gespielt.“

(Wikipedia:„Präsentiermarsch“). 

 

Bei diesen Überlagerungen entstanden gewollt oder ungewollt durchaus interessante neue Ausdrucksmöglichkeiten, welche die herkömmlichen Kompositionsmethoden nicht hergaben. Man kann diesen Effekt am heimischen Rechner leicht simulieren, indem man beispielsweise über youtube in jeweils einem separaten Fenster die beiden Märsche synchron abspielt.

 

(2)    Als eigentlicher Begründer der atonalen Musik gilt aber Arnold Schönberg[1]: „1921 entwickelte Schönberg in Mödling seine „Methode des Komponierens mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“, auch bekannt geworden als „Zwölftontechnik“ oder „Dodekaphonie“. Diese Methode entstand unabhängig von jener des Komponisten Josef Matthias Hauer, der ebenfalls eine zwölftönige Kompositionstechnik entwickelt hatte, die allerdings mit Schönbergs Methode wenig gemeinsam hat. Mit diesem neuen System glaubte sich Schönberg nun in die Lage versetzt, jedem Werk theoretisch ein inneres Gefüge geben zu können“ (Aus: Wikipedia). Sein Schüler Alban Berg hat die Kompositionsprinzipien seines Lehrers flexibler gestaltet, das Ganze erweitert und Verbindungen zur herkömmlichen Kompositionstechnik hergestellt. Zum Anhören möchte ich die Komposition "Ein Überlebender aus Warschau" Melodram für Sprecher, Männerchor und Orchester op.46 von Arnold Schönberg empfehlen.

 

(3)    Für die geistliche Musik will ich als Beispiel besonders ein Werk von Benjamin Britten und im Zusammenhang mit Neuer geistlicher Musik hervorheben, obwohl es viel „Herkömmliches“ an musikalischen Stilmitteln enthält: „The Burning Fiery Furnace“ („Der brennende Feuerofen“), eine Parabel für den Gebrauch bei Kirchenaufführungen, welche die Geschichte der drei Israeliten Ananias, Misael und Asarias erzählt, die sich weigern den König Nebukadnezar als Gott anzubeten und zur Strafe in einen Feuerofen geworfen werden, jedoch nicht verbrennen weil sie von Gott errettet werden.

 

(4)    In der elektronischen Musik[2] ist als Pionier unbedingt Karlheinz Stockhausen zu nennen. Das Stockhausen weit mehr als nur elektronische Musik hervorgebracht hat, zeigt ein Blick in seine Biographie wie beispielsweise in die von der Stockhausen-Stiftung ins Netzt gestellten Kurz-Biographie Karlheinz Stockhausens: „Karlheinz Stockhausen begann seine kompositorische Laufbahn Anfang der 1950er Jahre. Bereits mit seinen ersten Werken der "Punktuellen Musik" wie KREUZSPIEL (1951), SPIEL für Orchester (1952) und KONTRA-PUNKTE (1952/53) erlangte er internationale Berühmtheit. Seither haben viele seiner Kompositionen wesentliche Errungenschaften der Musik nach 1950 geprägt: die "Serielle Musik", die "Punktuelle Musik", die "Elektronische Musik", die "Neue Schlagzeugmusik", die "Variable Musik", die "Neue Klaviermusik", die "Raum-Musik", "Statistische Musik", "Aleatorische Musik", "Live-elektronische Musik"; neue Synthesen von "Musik und Sprache", eines "Musikalischen Theaters", einer "Rituellen Musik", "Szenischen Musik"; die "Gruppen-Komposition", polyphone "Prozess-Komposition", "Moment- Komposition", "Formel-Komposition" bis zur "Multiformalen Komposition"; die Integration ‘gefundener Objekte' (Nationalhymnen, Folklore aller Länder, Kurzwellenereignisse, "Tonszenen", etc.) in einer "Weltmusik" und einer "Universalen Musik"; die Synthese europäischer, afrikanischer, lateinamerikanischer und asiatischer Musik in einer "Telemusik"; die vertikale "Oktophone Musik". Und die „Oktophonie“ (1990-1991) empfehle ich zum anhören.

 

(5)    Der Wegbereiter mikrotonaler Musik ist gewiss Harry Partch gewesen. Informationen über diesen Komponisten findet man beispielsweise auch bei Wikipedia: Um die seinen Vorstellungen entsprechenden Klänge auf der Basis der die Oktaven unterteilenden 43 Mikrotöne erhalten zu können, erfand oder adaptierte Harry Partch eine ganze Reihe neuer Instrumente, wie die Cloud Chamber bowls aus Pyrex und das „Chromelodeon“, ein auf 43-teilige Oktaven gestimmtes Harmonium. Er produzierte für seine Zwecke vergrößerte Kitharas und baute Marimbas um. Die Wirkung des von Partchs Instrumenten erzeugten Klangteppichs ist mystisch, exotisch und verwirrend.“ Ich selbst konnte der Aufführung einer seiner Kompositionen, der Oper „The Delusion of the Fury“, bei der Eröffnung der Ruhr-Triennale 2014 in der Bochumer Jahrhunderthalle beiwohnen. Auf mich wirkte die Musik teils wild und mit Urwaldlauten durchsetzt und angefüllt mit Passagen von gurgelnd-strudelnd erklingen Tonfolgen, sogleich ablaufend, perlend-gluckernd, gleichsam wie Flüssigkeiten durch Rohre strömen; Klangströme und eine absurde Handlung die bis in die Eingeweide zu wirken vermochten. Zwei mikrotonale Kompositionen habe ich selber angefertigt, beide beruhen auf „Krummen Skalen“ von Melodieinstrumenten, es sind dies „Odysee“ und „Die magische Flötenmusik“.

 

(6)    Im solistischen Spiel von Melodieinstrumenten, wie z.B. Querflöte, Oboe und Klarinette haben sich als neue Spieltechnik „Mehrklänge“ (Multiphonics) etabliert und sogleich in der Komposition Neuer Musik etabliert. Ursprünglich kamen diese „Sounds“ wohl aus dem Jazz und haben noch immer viel von einem „Dirty Sound“. Bei Wikipedia kann man noch lesen: „In der Neuen Musik wurden fast gleichzeitig entsprechende Techniken entwickelt und in die Komposition eingeführt. Beispielsweise setzt der Oboist Heinz Holliger Multiphonics in der Komposition „Siebensang“ (1966/1967) für Singstimmen, Oboe, Lautsprecher und Orchester und besonders in der „Studie über Mehrklänge“ (1971) für Oboe solo ein.“ Bei der Aufführung einer seiner eigenen Komposition kamen Multiklänge zum Einsatz. Ich selbst habe ebenfalls Multiphonic-Techniken in Kompositionen für Klarinette eingesetzt, so in den „Neue Zeiten Konzerte“ für Klarinette solo und im „Einhand-Blattlos-Konzert“ und im „Klarinettenkonzert No.1“, dass 2000 in der Galerie bel Etage in Essen uraufgeführt wurde. Als Zuhörer konnte ich live solche Techniken auf der Klarinette hören, als ich ein Konzert des Klarinettisten Jörg Widmann im Harenberg Kulturzentrum in Dortmund besuchte, und auch wenn ich seine Kompositionen bei youtube höre, bin ich immer wieder von seinem Mut und seinem Können überrascht. Von Widmann empfehle ich zum Anhören „Fantasie für Klarinette solo“.

 

(7)    Zu den Meistern komponierter und improvisierter Neuer Orgelmusik zählt in Deutschland Dominik Susteck. Ich hatte das Glück vor einem Jahr einer seiner Orgelimprovisationen in der Kunst-Station Sankt Peter in Köln als Zuhörer beizuwohnen, und seine Neue Musik hat mich gleich überzeugt. Susteck ist Organist an der Jesuitenkirche St.-Peter und bekommt regelmäßig Kompositionsaufträge, so beispielsweise durch das Erzbistum Paderborn. „Zeitfiguren“ (2014) ist das Werk, dass Susteck für Paderborn schrieb, es enthält die Teile: Strahlen, Verschlungener Gang, Zeit, Leuchten, Akkordecho, Warten. 

 

(8)    Ein aktuelleres Werk, dass ich erst kürzlich im Radio übertragen hören konnte, ist „Licht am Ende des Tunnels“ von Ames Pavlarek (*1971). Pavlarek ist Soloklarinettist der „Bohuslav Martinu Philharmonie Zlin“. Ich hörte das Werk in der Aufführung durch das Prager Philharmonische Oktett in Plauen 2015 und war begeistert, es scheint genau in die Charakteristik unserer Zeit zu passen.      

 

 

 

 

 

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[1] Nachdem ich sehr ungeordnet einige wenige Kompositionen (Klarinette solo)  in meiner Frühzeit des Komponierens erschaffen hatte, die mittlerweile nicht mehr existieren, habe ich einen systematischen Zugang zum Komponieren über die Beschäftigung mit der Kompositionstechnik Arnold Schönbergs gefunden. Ausgehend von einer selbst erstellten 12-Ton-Reihe entstand die Komposition „Beteigeuze“ als mein Opus 1. Darunter ein modernes Gedicht und mehrere dodekaphone Kompositionen wie die „Beteigeuze-Melodie („Successionsversion“) und  ein mehrstimmiger atonaler Satz („Konsonanzversion“).

[2] Meine elektronischen Kompositionen entstehen teils durch Umsetzung von  klassischer Notation durch Computerinterpretation , Synthesizer und Aufnahme (z. B. Manstädten-Sonate) oder durch die elektronische Verarbeitung selbsterstellter Tonaufnahmen, wie z. B. bei dem 3-stimmigen akustoelektronischen Kanon „Wer trommelt denn da?“ für Impulsator und PEP-Flasche aus dem  Jahre 2015.